Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema „Smart Building“?
L.-H. Thom: Smart Buildings sind gerade in diesen Tagen ein spannendes Thema. Nach drei Jahren Pandemie haben wir uns alle gefreut, wieder mit Kollegen und Freunden zusammenkommen zu können, sich zu treffen und aus der einst notwendigen Isolation herauszukommen. Eigentlich müssten die Büros wieder voll sein und alle das direkte Zusammenarbeiten noch mehr zu schätzen wissen als vor der ungewollten Zwangspause. Doch die Realität sieht nicht nur hierzulande anders aus! Viele Büros sind – abhängig von der Branche – oft nach wie vor nur mit Minimalbesetzungen belegt. Die meisten Mitarbeiter haben die Vorteile des Homeoffice schätzen gelernt und sich vermutlich auch entsprechend technisch optimiert. Die gewonnenen Freiheiten und Bequemlichkeiten des eigenen Zuhauses wollen viele nicht mehr missen. Wenn also Arbeitgeber ihre Mitarbeiter motivieren wollen, freiwillig wieder außerhalb der eigenen vier Wände zu arbeiten, müssen sie ein entsprechend ansprechendes Umfeld zur Verfügung stellen.
Was könnten aus Ihrer Sicht Smart Buildings zu so einem ansprechenden Umfeld beitragen?
L.-H. Thom: Aktuell sind die meisten bestehenden Smart Buildings vor allem auf Effizienz im Betrieb ausgerichtet. Noch 2019 hatte eine Umfrage der Navigant-Forschungsgruppe ergeben, dass nur ca. 10 % bis 11 % derjenigen, die ein Smart Building zu bauen planen, als Grund dafür die Nutzerzufriedenheit angegeben haben. Ca. 15 % gaben als Hauptgrund Nachhaltigkeit an – ein deutliches Zeichen des beginnenden oder auch fortschreitenden Umdenkens in der Gesellschaft hinsichtlich des Klimaschutzes. Die Top-Kriterien mit in Summe fast 75 % waren aber alle auf die eine oder andere Art und Weise mit Kosteneinsparungen verbunden.
Das sieht man auch, wenn man sich typische bekannte Smart Buildings heute anschaut.
L.-H. Thom: Alle haben in der Regel eine intelligente Lichtsteuerung. Die Klimaanlagen dieser Gebäude sind meist hocheffizient und auf einen umweltfreundlichen und nutzungsabhängigen Betrieb ausgelegt. Es gibt daneben auch intelligente Zugangskontrollen in und außerhalb des Gebäudes, Mitarbeiter Lokalisierungen und erweiterte Sicherheitskonzepte bei Störungen oder Katastrophen.
Was aber spätestens seit der Pandemie dazukommen sollte, sind die Arbeitsbedingungen, die die Nutzer hier vorfinden. Dabei geht es vor allem und sehr detailliert um die physische und mentale Gesundheit der Nutzer solcher Gebäude. Das betrifft rein technische Vorgaben hinsichtlich z. B. visuellem, akustischem und klimatischem Komfort, aber auch, wie diese Gebäude eine gesunde Ernährung fördern, Bewegungsmangel verhindern und ein Gemeinschaftsgefühl ermöglichen. Das erfordert eine sehr individuell abstimmbare Umgebung, die sich nicht nur dem Nutzer, sondern auch veränderten Bedingung in seinem Umfeld anpasst.
Was genau meinen Sie mit dieser „individuellen Anpas sung an Nutzer- und Umgebungsbedingungen“?
L.-H. Thom: Smart Buildings sollten eine individuelle Anpassung der Umgebung an unterschiedliche Erfordernisse ermöglichen, die also intelligent in Abhängigkeit von bekannten (eingegebenen oder empirisch ermittelten) Nutzervorgaben und sich ändernden Umgebungsbedingungen reagieren oder proaktiv agieren können.
Ein einfaches Beispiel sind heutige automatische Abschattungen bei direktem Sonneneinfall, die gleichzeitig die Sichtbarkeit an Bildschirm-Arbeitsplätzen verbessern und die Klimatisierung entlasten. Aber auch hier sind solche Steuerungen intelligenter, die nicht einfach ganze Fassadenseiten abschatten, sondern die Räume, in denen das hellere Sonnenlicht nicht stört oder sogar gewünscht ist, auslassen.
Wo sehen Sie heute die größten Herausforderungen für Smart Buildings?
L.-H. Thom: Die größten Herausforderungen sehe ich – neben der Bereitschaft von Investoren in entsprechende höhere Anfangsinvestitionen – in der technischen Umsetzung bzw. in der Vorbereitung für technische Erweiterungen im späteren Betrieb. Zum einen braucht es Technik, die sich individueller steuern lässt als die meisten Standard komponenten heute. Dann benötigt diese Technik standar disierte Schnittstellen, um mit anderen Komponenten im Gebäude Informationen austauschen und diese auch verarbeiten zu können. Die „guten alten Zeiten“ von proprietären und abgeschotteten Regelkreisläufen sollten endgültig vorbei sein. Es braucht auch eine umfassendere Sensorik innerhalb und außerhalb des Gebäudes, die die sich ändernden Umgebungsbedingungen in Echtzeit erfasst und an die Technik weiterleitet.
Und nicht zuletzt ist im Gebäude eine „Intelligenz“ erforderlich, die all diese Mengen an Informationen mit niedriger Latenz verarbeitet und entsprechenden Aktionen auslöst. Optimalerweise lernt die Technik aus historischen Daten sowie Nutzerinteraktionen und kann proaktiv Änderungen veranlassen.
Hier kommen dann auch KI-Systeme mit ihren Mustererkennungs-Algorithmen ins Spiel, ohne die diese Datenflut kaum zu beherrschen sein dürfte. Das sind dann aller Wahrscheinlichkeit nach kombinierte Softwarelösungen, die sowohl im Gebäude als auch in der Cloud angesiedelt sein werden. Und mit dieser Verbindung der Gebäudesteuerung ins Netz sind dann auch erweiterte IT-Sicherheits Maßnahmen und –Regularien unabdingbar. Niemand möchte, dass sich Hacker in so ein intelligentes Gebäude digital einschleichen und Störungen oder gar Panik auslösen. Dies erfordert intensive Testszenarien, die die IT eines Smart Buildings gegen solche Angriffe härten.
Aber auch Updates und Konfigurationsänderungen dürfen keinen Schaden anrichten. Dabei kommt der „digitale Zwilling“ eines Smart Buildings ins Spiel, an dem alle Änderungen vorab und ohne Risiko getestet werden können und der dann proaktiv zur Optimierung und Gefahrenvermeidung genutzt werden kann und muss. Auch das ist eine große Herausforderung, die bedacht und einkalkuliert sein muss, da die Durchführung von Tests am – im wahrsten Sinne des Wortes – „lebenden“ Objekt oder sonst gern eingeplante „Optimierungen im Betrieb“ bei einem so hohen Integrationsgrad der Technik eher nicht zu empfehlen sind.
Ist das alles denn heute überhaupt schon machbar?
L.-H. Thom: Es gibt Beispiele von hochintegrierten Smart Buildings, die z. B. mit umfassenden Sensoriken wie „The Edge“ in Amsterdam arbeiten oder sogar KI-gesteuert sind, wie „The Cube“ in Berlin. Mir ist aber bewusst, dass vieles immer noch „Zukunftsmusik“ ist. Aber Planer und Architekten können – neben der gezielten Implementierung von bereits verfügbaren Technologien – die Gebäude auch besser auf künftige Anforderungen vorbereiten. Ich finde es teilweise erschreckend, wenn ich bis heute Neubauplanungen sehe, bei denen Bereiche für die IT Nutzung entweder schlicht vergessen oder nur im „Besenkammer“-Format geplant wurden. Hier muss gewerke übergreifend ein Umdenken stattfinden: von „das haben wir schon immer so gemacht“ hin zu IT-Räumen und -Flächen, die in die Architektur integriert sind und ein höheres Datenaufkommen händeln können. So wie einige Architekten heute Büros schon so planen, dass diese später in Wohnraum umgewandelt werden können, muss man auch die IT-Infrastruktur von Gebäuden in die Lage versetzen, sie im Verlauf ihrer Lebensdauer „smarter“ werden zu lassen. Das erfordert ein Erkennen und ein Verständnis für diese komplexer werdenden Herausforderungen.
Wenn man beispielhaft mögliche Datenpunkte in einem smarten Büro darstellt – im Vergleich vom heute üblichen Standard mit Arbeitsplatz-LAN und Wifi-Access-Point Verkabelung – hin zu einem smarten Office, kann sich die Anzahl der notwendigen Datenpunkte von den heute üblichen Anzahlen leicht verzehnfachen. Viele dieser Datenpunkte werden sicher auch über drahtlose Lösungen realisierbar sein. Aber dabei muss in Betracht gezogen werden, dass drahtlose Verbindungen leichter zu stören sind und gegebenenfalls auch ein Bandbreitenproblem haben können. Für kritische Komponenten kann man also nicht einfach alles der Drahtlostechnologie überlassen. Wir werden weiter Kabel und Leitungen benötigen.